Heinz Westreicher: Grenchner Kulturvermittler mit viel Fasnachtshumor

Am Freitagabend steht Heinz Westreicher im «Granicum» an der Theke und zapft Bier. Für ihn ist ein solcher Treffpunkt ein wichtiger Ort für persönliche Begegnungen und den Gedankenaustausch. Bild: Privatarchiv

Am Freitagabend steht Heinz Westreicher im «Granicum» an der Theke und zapft Bier. Für ihn ist ein solcher Treffpunkt ein wichtiger Ort für persönliche Begegnungen und den Gedankenaustausch. Bild: Privatarchiv

Worüber spreche ich mit Heinz Westreicher: über seinen Basler Dialekt, den er bis heute akzentfrei spricht und bewahrt hat – obwohl er der Stadt am Rheinknie vor 48 Jahren aus beruflichen Gründen den Rücken gekehrt hat; oder über Kunst und Kultur, die ihm seit seiner Kindheit am Herzen liegen; über den Gewerbeverband Grenchen, den er seit zwölf Jahren präsidiert; oder über seine fast beispiellos prägnanten und sich wunderbar reimenden Schnitzelbänke an der Fasnacht und darüber hinaus? Richtig! Über all das und noch viel mehr spreche ich mit ihm!

Seine Wohnung in einem Zweifamilienhaus an der Sägemattstrasse in Grenchen ist eine Galerie, eine Kunsthalle mit kleinen und grossen Bildern an den Wänden und ebenso schönen Skulpturen, jede ein Unikat. Und alles, was hier steht und an den Wänden hängt, hat eine Geschichte. Für einen Moment wirken seine Gesichtszüge fast streng, nachdenklich, bevor sich wieder das einnehmende Lächeln auf sein Gesicht legt. «Eines schönen Tages», sagt er fast pathetisch, «werde ich meine drei erwachsenen Kinder durch die Wohnung führen und ihnen die Geschichten erzählen, die hinter jedem dieser Kulturgüter stecken.» Was er damit sagen will, ist, dass er hofft, auf diese Weise Verständnis zu wecken und seine Kinder zu gewinnen, die eine oder andere Geschichte mit nach Hause zu nehmen.

Halt! Es ist Fasnacht bzw. der offizielle Beginn am 13. Januar, dem Namenstag des heiligen Hilarius. Wir treffen uns am nächsten Morgen. «Eigentlich ein ungünstiger Termin», schmunzelt Heinz Westreicher. Er ist ein Fasnächtler der ersten Stunde, war acht Jahre lang Obernarr von Grenchen, Schnitzelbänkler von Gnaden und Gründer der Guggenmusik Schuelschwänzer. Eine Fasnacht ohne Heinz? Geht nicht. Und plötzlich, aus heiterem Himmel, macht Heinz Ernst. «Ja, irgendwann in den nächsten Wochen werden wir die Gemeinderatskommission, kurz GRK, und den Gemeinderat absetzen. Dann wird die Regierung gebildet. Das Regierungsprogramm steht und wird in der Fasnachtszeitung ‹Gosche› publiziert werden. Du hast das Privileg, das erste Interview mit dem neuen Co-Stadtpräsidenten zu führen.» Er sagt das ohne ein Zwinkern in den Augen, die sagen: He, das war nur ein Scherz! Mit «wir» meint er Teddy Buser, ebenfalls ein ehemaliger Obernarr, und sich selbst. Am Hilariabend, wenn das Stadtoberhaupt abgesetzt wird, sind sie als Co-Stadtpräsidenten proklamiert worden. Was gibt es da zu lachen? Co-Präsidium, weil sie sich das Amt teilen. Heinz Westreicher macht Herbst und Winter, Teddy Buser Frühling und Sommer. Gut geteilt ist halb gewonnen.

So kennt ihn tout Granges. Und auch wenn er vor bald zehn Jahren mit 62 Jahren bei seinem letzten Arbeitgeber IBM in die Pension ging, ruhiger ist es um ihn nicht geworden. Ein Jahr zuvor, erinnert sich Heinz Westreicher, sei der damalige GVG-Präsident Markus Arnold auf ihn zugekommen. Der Verband brauche an der Spitze jemanden mit dem Blick von aussen. Er wäre der Richtige, ermutigte ihn Arnold. Und so rutschte der Nicht-Gewerbetreibende Heinz Westreicher ins Präsidium des Grenchner Gewerbeverbandes. Dort hat er einiges auf die Beine gestellt und sitzt mit einer jungen Crew im Vorstand, die für ihn, wie er sagt, wie ein Jungbrunnen wirkt.

Gelernt hat er Maschinenzeichner bei der Papieri in Biberist. Diese Lehre führte ihn Anfang der siebziger Jahre nach Solothurn. Danach bildete er sich im Maschinenbau weiter, bevor er 1977 eine KV-Lehre bei der Ebosa in Grenchen absolvierte. Sein damaliger Chef war Paul Glocker. Auch Seniorchef Paul Leo habe er noch erlebt. Es folgte eine längere Zeit im Militär, die er später als Major in der Abteilung Presse und Funkspruch des Stabs Bundesrat beendete. Danach fand er eine Stelle bei der IBM in Bern, später wechselte er von Bern nach Zürich in den Verkauf, betreute später ein neu aufgebautes Vertriebspartnernetz und war zuletzt bis zu seiner Pensionierung im Marketing tätig.

Jedenfalls blieb der junge Westreicher mit dem (für Grenchner Ohren) ausgeprägten Basler Dialekt dem Kanton Solothurn treu. Er wohnte in Solothurn, war Mitglied des damaligen Team 99, dessen Mitglieder den Mutti-Turm ausbauten und später ein Kleintheater gründeten. Und in der schönsten Zeit des Jahres zog es Heinz in die Fasnacht. Das blieb auch so, als er für die KV-Lehre seinen Wohnsitz nach Grenchen verlegte. Solothurn blieb sein Lebensmittelpunkt – bis zu einer Fasnachtsmatinee in Grenchen mit Sepp Probst, Teddy Buser und Edy Allemann. Es gab einen Schnitzelbank-Wettbewerb, den der Solothurner Fasnächtler aus Basel gewann. Der Preis: eine gemeinsame Proklamation mit dem amtierenden Grenchner Obernarr. So wurde aus dem Solothurner ein Grenchner Fasnächtler. Und ein echter Grenchner sowieso.

Seine Lebenszeit in seiner Geburtsstadt Basel war kurz – aber lang genug, um in dieser Zeit den Stempel der Kunst aufgedrückt zu bekommen, oder wie Heinz Westreicher selbst sagt: In Basel wurde in ihm der Samen der Kunst gesät. Regelmässige Besuche im Kunstmuseum und Kunstbetrachtungen standen auf dem Schulplan. «Zudem haben wir in der Klasse einen Film gedreht, mit allem Drum und Dran.» In Grenchen landete er in der richtigen Stadt, um das in Basel gezüchtete Pflänzchen weiter gedeihen zu lassen. Er lernte die nicht wenigen hiesigen Künstler kennen, zum Beispiel in den damals noch existierenden Galerien, vor allem in der Galerie Brechbühl. Er wuchs in diese Szene hinein. Er wurde Vorstandsmitglied der Grafik-Triennale in Grenchen. Fünfmal war er Organisator, zwölf Jahre lang Präsident. Er präsidierte auch das Künstler-Archiv Grenchen (KAG) und wurde 2021 mit dem Kulturpreis der Stadt Grenchen ausgezeichnet – als Grenchner Kulturvermittler mit viel Fasnachtshumor. Seine Dankesrede war eine viereinhalbminütige Schnitzelbank, so fein gesponnen wie alle die Schnitzelbänke vor und nach ihm.

In Grenchen wuchsen auch seine drei Kinder Ralf, Andrea und David auf. Der älteste Sohn ist noch heute Mitglied der Fasnachtsgugge Schuelschwänzer, die sein Vater in seinem letzten Jahr als Obernarr gegründet und zehn Jahre lang präsidiert hat. Tochter Andrea lebt in Münsigen und arbeitet in Bern. Auch sie war lange Jahre verantwortlich für die Kostüme der Schuelschwänzer. Der Jüngste, David, ist und bleibt ein Grenchner und ist mittlerweile in die Fussstapfen seines Vaters getreten und Vize bei den Lunesen. Liiert ist Heinz Westreicher heute mit Lydia Lötscher, die zusammen mit ihrem Sohn Roger die Brauerei Granicum ihres verstorbenen Mannes weiterführt. Und so kommt Heinz, selbst kein Kostverächter, am Freitagabend immer zum Handkuss und zapft Bier im Braustübli an der Solothurnstrasse. «Das ist nicht nur eine schöne Abwechslung, sondern auch ein wichtiger Treffpunkt. Leider gibt es immer weniger Orte, an denen sich Menschen begegnen. Der Austausch findet fast nur noch virtuell statt. Auch der persönliche Austausch ist ein Kulturgut!» Das ist einer der wenigen Momente beim Erzählen, in denen sich auf Heinz Westreichers Gesicht leichte Sorgenfalten bilden.

Seit ich Heinz Westreicher kenne, und das sind schon viele Jahre, beneide ich ihn um seine schlanke Statur. Was macht dieser Mann anders? Viel mehr Sport? Heinz Westreicher setzt schnell wieder sein Smiley-Gesicht auf: «Find’sch?», fragt er. Nicht unbedingt, aber vielleicht. Er hat sein wöchentliches Rendezvous im Fitnessstudio – bei Best Training von Stephan Bernhard. Dort trainiert er morgens eine Stunde lang im Zirkel mit anderen, die zeitlich ebenfalls nicht so gebunden sind. Und? Jeden Dienstag geht er mit seiner Partnerin in Solothurn tanzen, oder besser gesagt: in einen Tanzkurs. Der Mann muss sich eh nichts mehr beweisen.

Noch eine letzte Pointe, eine Erinnerung? Heinz sinniert kurz. «Hast du das Bild beim Eingang gesehen?» Nicht unbedingt. Aber ich höre. 2009 anlässlich der Grafik-Triennale stellten 50 Künstler je eine Druckplatte her. Das Publikum half dabei, die Farbe von den eingefärbten Druckplatten auf eine riesige Plache zu bringen. Dann wurde dieses monumentale Werk an der ETA-Fassade beim Marktplatz aufgehängt. Grafica Maxima, hiess der Titel dieses Bildes. In seiner Zeit als Präsident war ihm wichtig, dass auch die Bevölkerung, die mit Grafik wenig am Hut hatte, teilhaben sollte an dieser international bekannten Ausstellung.

Das war’s. Wir freuen uns auf weitere Überraschungen vom Basler, der fast zeit seines Lebens ein Grenchner ist.