Igel gab es schon zu Mammut-Zeiten

Er hat die Eiszeit überlebt und es gibt ihn seit mehr als 35 Millionen Jahren: den Igel. Doch jetzt macht ihm der Klimawandel mit seinen Wetterturbulenzen zu schaffen. Ein Besuch im Tierasyl Aarebrüggli.

Ein Igelbaby hat seine Mutter verloren. Hier ist eine aufwendige Betreuung angezeigt, bis es genügend Gewicht gewonnen hat.Bilder: zvg

Die Igelstation im Tierasyl Aarebrüggli Grenchen bietet einen guten Überblick über die Igelsituation in der Region. Edith Bähler ist die externe Igelbeauftragte und kann auf langjährige Erfahrung und Zusammenarbeit mit dem Team zurückgreifen. Zusammen mit Ivan Schmid, dem Leiter des Tierasyls Aarebrüggli, und seinem Team versucht sie mit viel Engagement, wo immer möglich das Überleben dieser urtümlichen Tiere zu sichern.


Schon zu Zeiten der Mammuts
Igel gab es schon, als es noch Mammuts auf der Welt gab. Millionen von Jahren und sogar die Eiszeit hat diese Art mit genialen Körperfunktionen überstanden. Doch jetzt stösst der Igel an seine Grenzen. Ivan Schmid: «Der aktuelle Klimawandel zeigt sich in raschen Wetterumschwüngen und Extremsituationen wie sintflutartigen Regenfällen, Hitzeperioden, extrem milden Wintern oder raschen Temperaturwechseln.» Tatsächlich verfügt der Igel über ein Hormonsystem, das ihn bei sinkenden Temperaturen und damit nahrungsarmen Zeiten in den Winterschlaf versetzt. In dieser Zeit kann extrem viel Energie gespart werden. Sobald die Temperaturen steigen, werden die Tiere wieder aktiv. Wenn also, wie in diesem Monat, fast sommerliche Temperaturen herrschen, sind die Igel vielleicht schon wach. Tritt dann kurz darauf eine Frostperiode ein, führt das zu existenziellen Problemen. Die Hauptnahrungsquelle des Igels wären Insekten, aber auch Würmer und seltener Aas stehen auf seinem Speiseplan. Die schwindende Insektenpopulation kann daher auch eine grosse Gefahr für den Igel darstellen: Die Vielfalt, aber auch die notwendigen Bestände vieler Insekten gehen zurück. 


Strassen, Gift und Parasiten
Damit nicht genug – Igel nehmen auch Giftstoffe auf. In Gärten und auf landwirtschaftlich genutzten Flächen nimmt der fleischfressende Allesfresser zum Teil auch Giftstoffe auf. Sind die Tiere nicht mehr gesund und ist das Immunsystem dadurch geschwächt, führt das auch zu einem stärkeren Parasitenbefall. Sowohl im als auch auf dem Körper. Edith Bähler kennt einige Igel, die von extrem vielen Zecken befallen waren. «Wir mussten sie wie Trauben einsammeln, das war unglaublich.» Grosse Probleme bereitet auch der Wurmbefall. Ivan Schmid erklärt, dass selbst bei einer Behandlung deutlich höhere Verluste zu verzeichnen sind: «Die Endoparasiten saugen sich zum Beispiel an den Schleimhäuten fest und hinterlassen oft blutige Wunden, die dann zum Tod des Igels durch einen Sepsis führen können.» Hinzu kommt, dass Igel häufig Opfer von Autos und Maschinen werden. «Zum einen bremst nicht jeder für einen Igel, zum anderen können die Tiere beim Herannahen eines Autos plötzlich stehen bleiben und sich verkriechen. Dann ist das Unglück schnell passiert. Diese Tragödie ist dann leider auch auf der Strasse sichtbar. Das alles führt natürlich zu einer Verkürzung des Lebens und damit auch zu einer verminderten Fortpflanzung.» Edith Bähler: «Eigentlich sollte die durchschnittliche Lebenserwartung bei sieben bis acht Jahren liegen. Ich würde sagen, dass es heute vier Jahre oder weniger sind. Wenn wir nicht aufpassen, wird der Igel vielleicht aussterben. Eigentlich hat der Igel schon viel überlebt, aber ob er sich den heute veränderten Gefahren noch einmal stellen und anpassen kann, ist fraglich.»


Zunehmende Probleme bei der Pflege 
Ivan Schmid und Edith Bähler betonen immer wieder, dass Igel nicht einfach eingesammelt und zur Igelstation gebracht werden sollen. «Es ist besser, zuerst zu beobachten und sich allenfalls telefonisch von der Igelstation beraten zu lassen. Junge Igel machen schon nach ca. 35 Tagen die ersten sehr kleinen selbstständigen Ausflüge aus dem Nest. Sie brauchen aber immer noch die Muttermilch. Natürlich kann es vorkommen, dass die Igelmutter einem Verkehrsunfall zum Opfer fällt und sich nicht mehr um ein Nest kümmern kann. Dann müssen die Jungen sofort von einer anerkannten Igelstation betreut werden.» Wie bereits mehrfach an dieser Stelle berichtet, werden aufgefundene Igel nach der Pflege möglichst im selben Revier wieder ausgewildert. «Das ist wichtig, denn Igel sind sehr standorttreu. An einem fremden Ort sind sie nicht nur verunsichert, es kann auch zu unnötigen Revierkämpfen kommen.» Tiere ab einem Alter von 45 Tagen können sich bei guter Gesundheit bereits weitgehend selbstständig ernähren, unternehmen eigene kleine Erkundungstouren und benötigen die Mutter nur noch zeitweise zur Unterstützung. Sie sollten daher nicht aus ihrer unmittelbaren Umgebung entfernt werden.
Eine grosse Unterstützung für den Igel sind ganz oder teilweise naturbelassene Gärten. Natürlich sollte dort auch auf Herbizide und andere Gifte verzichtet werden und mit maschinellen Gartengeräten vorsichtig gearbeitet werden. So können sich Igel Nahrung sichern und sich auch ungestört fortpflanzen. «Es braucht ja eigentlich nicht so viel», findet Edith Bähler. «Auch im Kleinen kann man Grosses bewirken.»